Frühe Spezialisierung im Sport - Nützlich oder schädlich?
Müssen Sportler sich frühzeitig für eine Sportart entscheiden, um als Erwachsener Profi zu werden und das höchste Niveau zu erreichen? Sind Höchstleistungen nur durch eine frühe Spezialisierung zu erreichen? Oder ist eine vielseitige Schulung von Fähigkeiten und Fertigkeiten vielleicht doch sinnvoller? Profitieren (Spiel-)Sportler von der Teilnahme an anderen Sportarten?
Gerade im Fußball ist ein Trend zu beobachten, in dem größere Vereine bereits früh beginnen Spieler für ihr Nachwuchsleistungszentrum zu scouten. Mitunter sind hier bereits bei U9 Spielen Talentsucher anwesend. Ein früher Zugang zu NLZ oder Vereinen mit besseren Bedingungen als der Heimatverein bieten kann gilt als guter Einstieg in die Entwicklung und Grundstein einer erfolgreichen sportlichen Karriere.
Junge Sportler, die mehrere Sportarten betreiben wollen, hören häufig sie müssen sich für eine Sache entscheiden um erfolgreich zu sein. Doch ist eine frühe Spezialisierung nötig, sinnvoll und zielführend? Wir wollen einen kurzen Überblick über mögliche Vor- und Nachteile einer frühen oder einer späten Spezialisierung verschaffen. Wie so oft, ist hier keine ?Schwarz oder Weiß? Antwort möglich. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte.
Was heißt Frühe Sportspezialisierung?
Unter früher Spezialisierung wird verstanden, sich bereits in jungen Jahren (vor der Adoleszenz) ausschließlich auf eine einzige Sportart festzulegen und ausschließlich diese Sportart zu betreiben.
Hier werden drei Faktoren aufgeführt:
- Festlegen einer Hauptsportart
- Teilnahme über mehr als 8 Monate im Jahr
- Drop Out aus allen anderen Sportarten, um sich auf die Hauptsportart zu fokussieren. (1)
Ein früher Einstieg in eine Sportart ermöglicht ein frühes Erlernen der spezifischen Techniken und ist somit durchaus sinnvoll. Im Eishockey beispielsweise sollte möglichst früh mit dem Schlittschuhlaufen
begonnen werden, um in höheren Altersstufen diese Fertigkeit perfektioniert zu haben. In einigen wenigen Sportarten ist eine frühe Spezialisierung unter Umständen sinnvoll oder nötig. Im Turnen ist das Alter für Spitzenleistungen sehr jung, wodurch hier eine frühe Spezialisierung nötig ist.
Während ein früher Einstieg in den organisierten Sport und angeleitetes Training sinnvoll ist, birgt die frühe Spezialisierung auf eine einzige Sportart einige Gefahren. Mehrere wissenschaftliche Artikel (2,3) und akademische Forschungen weisen auf mögliche negative Auswirkungen der frühen Sportspezialisierung hin:
- Risiko von Überlastungsverletzungen: Die Konzentration auf einen einzigen Sport in jungen Jahren kann das Risiko von Überlastungsverletzungen erhöhen, da immer die gleichen Muskelgruppen beansprucht werden
- Psychische Belastung und Burnout: Es gibt eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für psychischen Stress und Burnout. Das ständige Training und der Druck, in einem bestimmten Sport erfolgreich zu sein, können psychische Belastungen verursachen.
- Eingeschränkte sportliche Entwicklung: Frühe Sportspezialisierung kann die allgemeine sportliche Entwicklung einschränken. Da sich Athleten auf einen einzigen Sport konzentrieren, können sie möglicherweise nicht die breite Palette von Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln, die durch die Teilnahme an mehreren Sportarten erworben werden können.
- Negative Auswirkungen auf die Gesundheit: Es gibt Hinweise darauf, dass eine frühe Sportspezialisierung negative Auswirkungen auf die Gesundheit von jungen Athleten haben kann, einschließlich erhöhter Verletzungsrisiken und möglicherweise geringerer gesundheitsbezogener Lebensqualität.
Eine frühe Spezialisierung stellt keinen Faktor oder Garantie für späteren Erfolg oder eine folgende Karriere im Hochleistungsbereich oder Spitzensport dar. Eine späte Spezialisierung ist ebenfalls keine Garantie für das Erreichen eines hohen Leistungsniveaus, bietet jedoch einige Vorteile gegenüber der frühen Spezialisierung und wird daher meist empfohlen. Viele hochklassige Athleten berichten, in jungen Jahren neben ihrer Sportart andere, ergänzende Sportarten betrieben zu haben. (2-4)
Vorteile einer späten Spezialisierung
Die nachfolgenden Vorteile einer frühen Diversifikation können bei einer späteren Spezialisierung auf eine Sportart nützlich sein: (2,3,5)
- Reduziertes Risiko von Überlastungsverletzungen: Durch das Ausüben mehrerer Sportarten entwickeln junge Sportler ein ausgewogenes muskuläres System, das in einer später folgenden Spezialisierung von Überlastungsverletzungen schützen kann.
- Psychisches Wohlbefinden: Eine späte Spezialisierung erlaubt den Sportlern unterschiedliche Sportarten kennenzulernen, senkt den Druck und Stress, den eine frühe Spezialisierung aufbaut und führt so zu einem reduzierten Risiko eines Burnouts und gesunderen mentalen Entwicklung.
- Vielseitige Schulung von motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten: Durch die Teilnahme an unterschiedlichen Sportarten erlernen junge Sportler eine Vielfalt an Techniken und erfahren unterschiedliche Anforderungen, was zu einer besseren sportlichen Entwicklung beiträgt.
- Bessere langfristige Gesundheit: Durch die unterschiedlichen Belastungen in verschiedenen Sportarten sinkt das Verletzungsrisiko und die allgemeine Gesundheit steigt an.
- Besseres Spielverständnis, taktisches Verhalten und Kreativität: Spielsportler zeigen häufig einen Übertrag des Spielverständnisses und erkennen taktische Muster. Dies kann zu einer besseren Teamfähigkeit und Entscheidungsfindung führen.
Wann sollten sich Sportler spezialisieren? Was heißt das für die Praxis?
Der Zeitpunkt der Spezialisierung ist abhängig von der jeweiligen Sportart. Wie bereits erwähnt gibt es einige Ausnahmen, in denen einen frühe Spezialisierung nötig ist. Allgemein gilt für die meisten Sportarten, allen voran den Spielsportarten wie Fußball, Basketball, Eishockey etc. jedoch die Empfehlung, sich während der mittleren Adoleszenz, also der Altersspanne von 14 - 18 Jahren auf eine Sportart zu spezialisieren. In individual Sportarten mit hohem Trainingsaufwand wie den Ausdauerdisziplinen ist eine noch spätere Spezialisierung möglich.
Eltern und Trainer, sollten Kindern demnach eine vielseitige sportliche Entwicklung ermöglichen, um die allgemeine Entwicklung des Sportlers zu begünstigen, die sich auf eine spätere Spezialisierung positiv auswirken kann. Neben dem strukturierten Training sollten Möglichkeiten für freies, unstrukturiertes Spiel geschaffen werden.
Ein "polysportiver" Ansatz ermöglicht jungen Sportlern nicht nur eine vielseitige körperliche und sportliche Entwicklung, sondern auch das Kennenlernen anderer Sportarten, die den jeweiligen Interessen entsprechen. So kann auch wenn der Fokus auf einer Sportart liegt eine ergänzende Teilnahme in einer anderen Sportart einen großen Mehrwert bieten. Eltern und Trainer sollten den gesamten wöchentlichen Trainingsumfang beachten, der 16 Stunden nicht übersteigen sollte. Zudem sollte auf Zeichen wie Stress, Burnout oder physische Probleme geachtet werden. (2,3)
Fazit
Wie eingangs erwähnt gibt es hier kein Schwarz und Weiß. Neben dem individuellen Interesse, Potenzial und Wohlbefinden des jeweiligen Sportlers, spielt auch die Sportart eine Rolle in der Frage nach einer Spezialisierung. Während in manchen Sportarten eine frühe Spezialisierung nötig ist und ihren Platz hat, bietet eine späte Spezialisierung in Spielsportarten zahlreiche Vorteile, die sich später in der Karriere bezahlt machen können. Ein früher Einstieg in die jeweilige Sportart bietet viele Vorteile, jedoch sollte sie nicht die einzige sportliche Aktivität sein. Trainer sollten hier ein entsprechendes Mindset an den Tag legen. Ein zusätzliches Training in einer anderen Sportart bietet meist einen großen Mehrwert in der Entwicklung des jungen Sportlers und ist daher nicht als Konkurrenz anzusehen. Viel mehr unterstützt diese frühe Diversifikation die später folgende Spezialisierung.
Referenzen
- Myer GD, Jayanthi N, Difiori JP, Faigenbaum AD, Kiefer AW, Logerstedt D, u. a. Sport Specialization,
Part I: Does Early Sports Specialization Increase Negative Outcomes and Reduce the Opportunity
for Success in Young Athletes? Sports Health Multidiscip Approach. September 2015;7(5):437-42. - Myer GD, Jayanthi N, DiFiori JP, Faigenbaum AD, Kiefer AW, Logerstedt D, u. a. Sports
Specialization, Part II: Alternative Solutions to Early Sport Specialization in Youth Athletes. Sports
Health Multidiscip Approach. Januar 2016;8(1):65-73. - Jayanthi N, Pinkham C, Dugas L, Patrick B, LaBella C. Sports Specialization in Young Athletes:
Evidence-Based Recommendations. Sports Health Multidiscip Approach. Mai 2013;5(3):251-7. - Garland WJ, Smith KL, Dixon JC, Horton S. Developmental activities of elite junior hockey players:
an analysis of early sport specialization. Front Sports Act Living. 31. Oktober 2023;5:1253007. - Baker J, Cobley S, Fraser-Thomas J. What do we know about early sport specialization? Not much!
High Abil Stud. Juni 2009;20(1):77-89.