Pressing überspielen und wie weiter?

"Wir wollen keine Bälle schlagen, sondern alles spielerisch lösen!" - ein möglicher Lieblingssatz eines Trainers im modernen Fußball. Diese Aussage ist oftmals keine Phrase, sondern durchaus ernst gemeint, jedoch fehlt es oft an den passenden Ideen der Trainer, sofern sie nicht von den Spielern selbst kommen. Dass sich der Schwerpunkt im Spiel gegen den Ball in den letzten Jahren wesentlich mehr am Offensivpressing orientiert als in den Jahren davor, ist kein Geheimnis. Dementsprechend braucht es für spielerische Lösungen in der Spieleröffnung, sowie -aufbau und im Übergangsspiel gezielte Ideen. Diese können äußerst vielfältig sein, jedoch ist dabei wichtig, dass ALLE Spieler die gemeinsame Idee verfolgen. Um die vorderste, gegnerische Pressinglinie, oder sogar mehrere, mit spielerischen Lösungen hinter sich zu lassen, geht es in erster Linie um eine ausgewogene und abgestimmte Positionierung, bei der ein geeignetes Maß zwischen Risiko und Absicherung nach möglichen Ballverlusten gefunden werden muss. Warum betrifft das aber ALLE Spieler? Angenommen, die ballführende Mannschaft versucht mit drei zentralen Mittelfeldspielern (zb. in einem 4-3-3 oder einem 3-5-2) von der Spieleröffnung ins Übergangsspiel zu gelangen und die gegnerische Mannschaft agiert mit zwei zentralen Mittelfeldspielern gegen den Ball (zb. 4-4-2 oder 3-4-3): Grundsätzlich hat die ballführende Mannschaft eine nominelle 3:2 Überzahl im Mittelfeldzentrum.

Bild 1: Nominelle Überzahl im Mittelfeldzentrum. Quelle: Eigene Darstellung

Bewegt sich jedoch einer der drei Zentrumsspieler im Deckungsschatten eines Gegners oder in ungefährlichen Räumen (zb. zu weit vom Ball entfernt oder zu tief - ohne Raumgewinn oder Gegner überspielen zu können), kann der Gegner aus der Überzahl eine Gleichzahl schaffen und dadurch Pässe ins Zentrum sehr schwer bis fast unmöglich zu machen.


Bild 2: Laufwege aus der Grundordnung: Nr. 8 und Nr. 11 belaufen den gleichen Raum. Quelle: Eigene Darstellung


Bild 3: Nr. 8 und Nr. 11 bieten sich im gleichen Raum an, wodurch die Gegner geordneten Zugriff in den gefährlichen Räumen haben. Quelle: Eigene Darstellung

Andererseits kann aber ein gezieltes Rausziehen eines Zentrumsspielers auf den Flügel - um Passwege zu öffnen oder den Flügel zu überladen - wiederum der angesprochene gemeinsame Plan sein und als Mittel eingesetzt werden. Als letztes Mittel um die erste Pressinglinie hinter sich zu bringen, soll hier noch das Andribbeln der Innen- bzw. Zentralen Verteidiger in der Dreierkette, sowie aus einer dynamischen Dreierkette ins Spiel gebracht werden.

Bei allen erwähnten Varianten stellt sich aber immer noch die Frage, was danach passieren soll. Um nach der Spieleröffnung ins Übergangsspiel zu kommen oder sogar direkt einen Angriff zu starten, muss ein Spieler in offener Spielstellung, also mit Blick zum gegnerischen Tor, in Ballbesitz gebracht werden, wofür es grundsätzlich drei erfolgsversprechende Varianten gibt, die je nach Verteidigungsplan des Gegners aber unterschiedliche Aussichten haben. Die erste ist es, den Ball in einen freien Raum hinter der ersten Pressinglinie zu spielen, wobei es im ersten Schritt unerheblich ist, ob dabei durch die Pressingspieler oder außen vorbei gespielt wird. Wichtig ist dabei nur, dass der Spieler, der in Ballbesitz kommt, genug Zeit und Raum hat, um aufzudrehen und das Spiel in Richtung gegnerischem Tor fortzusetzen.


Bild 4: Nr. 11 bleibt etwas höher, Nr. 10 lässt sich weiter ins Mittelfeld fallen, um einen Gegner zu binden. Durch den zusätzlichen Laufweg von Nr. 3, der damit die gegnerische Nr. 7 bindet, wird hinter der ersten Pressinglinie ein Raum für Nr. 8 frei. Quelle: Eigene Darstellung

Oftmals werden hier vor dem Pass hinter die Pressinglinie ein gezielter kurzer Pass auf einen nahen Mitspieler und ein darauffolgender Klatschball genutzt, sodass ein gegnerischer Spieler dazu gebracht wird, aus der Ordnung herauszupressen und freier Raum entsteht. Andere Trainer bevorzugen es, das runde Leder dort hinzuspielen, ?wo der Druck herkommt?. Das soll heißen, dass sich hinter einem herauspressenden Spieler ein Raum öffnet, der belaufen und bespielt werden soll. Bei einer guten Freilaufbewegung ist es dabei möglich, den Ball am pressenden Gegner vorbeizuspielen, ein wesentlich probateres Mittel hierfür ist aber das Spiel über den dritten Mann, also den freien Raum nicht direkt zu bespielen, sondern über einen weiteren Mitspieler, eben den "dritten Mann".


Bild 5: Durch eine gute Raumaufteilung wird zwar der Raum hinter der ersten Pressinglinie frei, der Deckungsschatten des pressenden Stürmers verhindert jedoch einen direkten Pass. Durch eine gut abgestimmte Freilaufbewegung von Nr. 3 in Richtung des Balles, kann über Nr. 3 der Ball in den freien Raum gespielt werden.. Quelle: Eigene Darstellung

Die letzte Variante ist das berühmte "Steil-Klatsch", bei dem neben der ersten Pressinglinie auch eine eigene Reihe überspielt wird, sodass der Passempfänger eine oder mehrere Klatschoptionen hat und mit diesem Mittel ein Spieler mit Blick zum gegnerischen Tor in Ballbesitz kommt.


Bild 6: Durch ein gut abgestimmtes Positionsspiel und passende Freilaufbewegungen können sich - je nach Gegnerverhalten - verschiedene "Tief-Klatsch-Optionen" für den andribbelnden Innnenverteidiger öffnen. Nr. 3 bindet die gegnerische Nr. 7, wodurch die gegnerische Nr. 6 und Nr. 8 in Unterzahl geraten und sich entscheiden müssen, welchen Spieler sie attackieren. Dementsprechend können sich entweder ein tiefer Pass auf Nr. 11 mit Klatschball auf Nr. 8 (rot), ein diagonaler Ball ins Zentrum auf Nr. 10 mit Klatschball auf Nr. 6 (schwarz) oder ein scharfer, flacher Pass in den ballentfernten Halbraum auf Nr. 7 mit Klatschball auf Nr. 10, die sich wieder anbietet (blau), öffnen. Quelle: Eigene Darstellung

Egal ob man sich als Trainer eines dieser Mittel zu Nutze macht oder es sogar schafft, mit mehreren zu variieren - die Möglichkeiten danach sind vielfältig. Ein Spieler im freien Raum mit Blick zum gegnerischen Tor kann nahezu jedes Angebot annehmen, dass die Offensivspieler ihm geben: erstmal können die drei Prinzipien der Spieleröffnung auch für die nächste gegnerische Linien angewandt werden. Je nach Feldposition sind aber auch Schnittstellenpässe, hohe Bälle in den Rücken der Abwehr oder Diagonalbälle möglich, sodass die Angriffsvariationen ebenso spielerisch gelöst werden können, wie die Spieleröffnung.


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