Der Relative Age Effect

Im ersten Teil unserer Serie zur Entwicklung im Nachwuchssport habt ihr einen Überblick über die Wichtigkeit von Erlebnissen im Jugendsport bekommen. In den folgenden Beiträgen beleuchten wir einige Möglichkeiten einen entwicklungsorientieren Ansatz zu verfolgen, sowie Gefahren im, bzw. Schwachstellen des Nachwuchssystems.

Im ersten Teil wurde angesprochen, dass weiterentwickelte Spieler häufig mehr Spielzeit erhalten als weniger weit entwickelte Spieler. Dies ist sowohl beim technisch ? taktischen Leistungsstand zu beobachten, als auch im Bereich der körperlichen Entwicklung. Häufig erhalten körperlich robustere bzw. größere Spieler mehr Spielzeit, unabhängig von Leistung oder technisch ? taktischem Entwicklungsstand. Dieser Trend ist insbesondere in Jahrgängen, in denen die Pubertät (U15) einsetzt zu beobachten und ist auch in Auswahlverfahren für Talentförderprogramme zu erkennen.

Was ist der Relative Age Effect?

Der Relative Age Effect (RAE) ist ein Phänomen, das in Programmen zur Talentförderung beobachtet wird, bei denen Spieler, die zu Beginn des jeweiligen Jahrgangs geboren wurden, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ausgewählt oder als sportlich begabt eingestuft zu werden. In Auswahlmannschaften oder Nachwuchsleistungszentren finden sich häufig signifikant mehr Spieler, die im ersten Quartal des jeweiligen Jahrgangs geboren wurden, als Spieler, die in der zweiten Jahreshälfte geboren wurden. Der RAE ist auch in den Talentförderprogrammen des deutschen Nachwuchsfußballs deutlich erkennbar (1). Das Vorhandensein des RAE in Talentförderungsprogrammen kann zu Ungerechtigkeit führen, da relativ ältere Spieler bessere Chancen haben, Profis zu werden. Zusätzlich führt der Effekt zu Ineffizienz, da die Talentförderung für relativ ältere Spieler mit begrenztem Talent eingeschränkt sein kann. Dies bestätigt sich dadurch, dass der RAE auch im Profisport zu beobachten ist. Im Fußball ist bspw. ein signifikanter RAE in den besten Europäischen Ligen zu beobachten (2,3). Nicht nur im Fußball ist der RAE präsent, auch in anderen Spielsportarten wie Eishockey, Basketball, Handball und vielen weiteren Sportarten ist der Effekt deutlich erkennbar und nachweisbar. Allen voran in den Altersklassen zwischen 13 und 17 Jahren tritt der Effekt am häufigsten auf (4).

Hierin liegt eine große Herausforderung im Nachwuchssport: Zwischen einem Spieler der im Januar und einem Teamkollegen der im Dezember geboren wurden liegt fast ein Jahr Unterschied in der körperlichen Entwicklung. Da in vielen Sportarten zwei Jahrgänge eine Altersstufe abbilden, können somit fast zwei Jahre zwischen Spielern der gleichen Jahrgangsstufe liegen. Insbesondere in den angesprochenen Jahrgängen, in denen die Pubertät einsetzt, können somit enorme Unterschiede in den körperlichen Voraussetzungen zwischen Mit- bzw. Gegenspielern herrschen.

Doch wir kann dieses Problem gelöst werden?

Lösungsansätze? Bio-banding als Lösung?

Es wurden unterschiedliche Lösungsansätze wie bspw. Spielerquoten zur Einschränkung des Relative Age Effect vorgeschlagen, die teilweise umstritten diskutiert werden. Viele wurden noch nicht in der Praxis getestet (5).

Eine vielversprechende Lösung stellt das Bio-banding dar. Bio-Banding ist eine Methode, bei der junge Sportler nach ihrem geschätzten biologischen Reifegrad und nicht nach ihrem chronologischen Alter gruppiert werden. Es zielt darauf ab, den individuellen Unterschieden in Größe, Stärke und Leistung Rechnung zu tragen, die mit unterschiedlichen Reifegraden einhergehen (6).

Bio-Banding wurde als Methode zur Bekämpfung des relativen Alterseffekts (RAE) auch im Jugendfußball vorgeschlagen. In mehreren Studien wurde die Wirksamkeit von Bio-Banding bei der Verringerung der Auswirkungen von RAE untersucht. Untersuchungen haben gezeigt, dass Bio-Banding dazu beitragen kann, den Einfluss von RAE auf die Identifizierung von Talenten und die Teamauswahl zu verringern, aber nicht zu eliminieren?(6,7). Inwieweit Bio-Banding RAE verhindern kann, ist jedoch noch unklar. Einige Studien haben ergeben, dass sich Bio-Banding positiv auf die technischen und taktischen Marker zur Identifizierung von Talenten auswirkt, während andere keine konsistenten Leistungsunterschiede zwischen Gruppen mit Reifegrad und nicht übereinstimmenden Gruppen feststellten?(8). Es ist wichtig zu beachten, dass Bio-Banding Grenzen haben kann und weitere Untersuchungen erforderlich sind, um seine Wirksamkeit bei der Vorbeugung des RAE zu evaluieren.

Das Verwenden von Bio-Banding in einzelnen Trainingseinheiten und / oder Turnieren bzw. Spielen kann eine mögliche Alternative darstellen, die es zu testen gilt.

Fazit

Der Relative Age Effect stellt eine große Herausforderung für die Arbeit im Nachwuchssport dar. Trainer, Vereine und Verbände sollten sich dieses Effektes im Klaren sein und in ihre Überlegungen der Talentförderung / Auswahlprozesse einfließen lassen.

Relativ jüngeren Spielern sollte Zeit und Raum gegeben werden, sich weiterzuentwickeln. Ein körperliches "Defizit" sollte kein Ausschlusskriterium sein. Vielmehr sollten individuelle Stärken gefördert werden. So können kleinere Spieler bspw. wendiger und koordinativ besser sein und dies für sich nutzen. Eine individuelle Anpassung des technisch-taktischen Verhaltens an die körperlichen Voraussetzungen kann die jungen Sportler in ihrer Entwicklung enorm begünstigen

Literaturverzeichnis
  1. Votteler A, Höner O. Cross-sectional and longitudinal analyses of the relative age effect in German youth football: Impacts of talent selection procedures between competition levels and age categories. Ger J Exerc Sport Res. September 2017;47(3):194?204.
  2. agüe JM, Molinero O, Alba JÁ, Redondo JC. Evidence for the Relative Age Effect in the Spanish Professional Soccer League. J Hum Kinet. 21. Juli 2020;73(1):209?18.
  3. Yagüe JM, Molinero O, de la Rubia A, Sánchez-Molina J, Maroto-Izquierdo S. The Relative Age Effect in the 10 Best Leagues of Male Professional Football of the Union of European Football Associations (UEFA). J Sports Sci Med. 2018;17.
  4. Silva LA, Leonardo L, Rodrigues HDA, Krahenbühl T. The Relative Age Effect in invasion team sports: A systematic review in youth sports. Retos. 11. August 2022;46:641?52.
  5. Webdale K, Baker J, Schorer J, Wattie N. Solving sport?s ?relative age? problem: a systematic review of proposed solutions. Int Rev Sport Exerc Psychol. 1. Januar 2020;13(1):187?204.
  6. Malina RM, Cumming SP, Rogol AD, Coelho-e-Silva MJ, Figueiredo AJ, Konarski JM, u.?a. Bio-Banding in Youth Sports: Background, Concept, and Application. Sports Med. November 2019;49(11):1671?85.
  7. Towlson C, MacMaster C, Gonçalves B, Sampaio J, Toner J, MacFarlane N, u.?a. The effect of bio-banding on technical and tactical indicators of talent identification in academy soccer players. Sci Med Footb. 3. Juli 2022;6(3):295?308.
  8. Gutierrez Diaz Del Campo D, Pastor Vicedo JC, Gonzalez Villora S, Contreras Jordan OR. The Relative Age Effect in Youth Soccer Players from Spain. J Sports Sci Med. 1. Juni 2010;9(2):190?8.

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