Gegenpressing - Jürgen Klopps "bester Spielmacher"

Kaum ein Top-Trainer wird so mit dem Schlagwort "Gegenpressing" verbunden, wie Jürgen Klopp. Das ist vor allem deshalb interessant, weil mittlerweile eine Vielzahl an Trainern Wert auf dieses taktische Mittel legt. Man kann jedoch getrost sagen, dass der sympathische Liverpool-Coach der Hauptprotagonist dieses taktischen Hilfsmittels ist, schließlich forciert er es schon seit seinen Traineranfängen in Mainz. Gegenpressing ist beispielsweise aber auch in der viel zitierten RB-DNA verankert und wurde schon in den 80er-Jahren vom AC Milan unter Arrigo Sacchi praktiziert. Zumeist wurde es vor Jürgen Klopp als "Zustellen" bezeichnet oder es wurde einfach von "schneller Ballrückeroberung" gesprochen. Was ist also Gegenpressing und woher kommt die Bezeichnung?

Um die Herkunft der Bezeichnung zu verstehen, muss zunächst mit einem relativ weit verbreiteten Mythos aufgeräumt werden. Viele Fußballinteressierte - und teilweise (leider) auch Trainer - verstehen unter "Pressing" das hohe Anlaufen. Fußballkundige wissen selbstverständlich, dass dies mit "Angriffspressing" definiert wird, d.h. das Ziel ist es, den Ball bei geordnetem gegnerischen Ballbesitz im Angriffsdrittel zu erobern. Das Wort "Pressing" allein ist lediglich eine Bezeichnung für druckvolles, aggressives Verteidigen, sprich den Angriffs des Gegners mit hoher Intensität und hohem Tempo zu unterbinden.

Demnach ist "Gegenpressing" das Unterbinden eines Gegenangriffs mit hohem Tempo und hoher Intensität, also im besten Fall eine möglichst schnelle Rückeroberung des Ballbesitzes, nachdem dieser verloren wurde. Voraussetzung dafür ist eine kompakte und gestaffelte Positionierung im eigenen Ballbesitz, ohne die Passabstände zu kurz werden zu lassen. Das ermöglicht ein flüssiges und gutes Ballbesitzspiel und schnellstmöglichen Zugriff auf die ballnahen Gegenspieler bei einem Ballverlust. Grundsätzlich wird hierfür der ballführende Gegenspieler vom nächsten eigenen Spieler sofort unter Druck gesetzt, was nicht zwingend die Ballrückeroberung als direktes primäres Ziel hat. In erster Linie geht es immer um das Unterbinden des Gegenangriffs, bei dem in weiterer Folge, bei guter Ausführung der Ballgewinn resultieren kann bzw. soll. Für dieses Ziel kann einerseits gegnerorientiert agiert werden, in dem die Kurzpassoptionen des Gegenspielers direkt zugestellt werden oder raumorientiert, wofür man die ballnahen Räume kontrolliert und sich ggf. den Deckungsschatten zu Nutze macht. Durch das aggressive Anlaufen und die Orientierung nach vorne birgt Gegenpressing auch das Risiko, dass der Raum hinter den pressenden Spielern oder gar hinter der Abwehr bespielt wird. Das gilt speziell, wenn nicht die nötige Intensität vorhanden ist, zu viel Raum zwischen den eigenen Spielern besteht und damit gesamtheitlich nicht genügend Druck ausgewirkt werden kann oder schlichtweg Fehler gemacht werden. Sofern die eigenen Spielertypen aber zur Philosophie des Gegenpressings passen, überwiegen die Vorteile aber deutlich.

Die Philosophie von Jürgen Klopp ist im raumorientierten Gegenpressing anzusiedeln. Sieht man sich seine Kaderzusammenstellungen in Dortmund und Liverpool an, wird augenscheinlich, dass er dafür auf schnelle, oftmals wendige Offensivspieler, ebenfalls schnelle, aber auch aggressive und offensivorientierte Außenverteidiger, große, zweikampf- und Kopfballstarke Innenverteidiger und aggressive Zentrumsspieler, mit einer sehr gut ausgeprägten Fähigkeit das Spiel zu lesen, setzt. Nicht vergessen werden darf hier der mitspielende Torhüter, der bei weiten Bällen als eine Art Libero agieren kann. Natürlich hört sich das nach einer allgemeinen Idealzusammenstellung eines Kaders an, aber je tiefer man blickt, desto mehr Klopp-System ist dabei zu erkennen. Fielen zu Beginn seiner Amtszeit in Dortmund bspw. noch Spieler wie Marcel Schmelzer, Sebastian Kehl, Nuri Sahin oder Jakub "Kuba" Blaszczykowsky in die erwähnten Beschreibungen, wurden im weiteren Verlauf Mario Götze, Sven Bender, Kevin Großkreutz, Lukas Piszczek, Ilkay Gündogan und nicht zuletzt sein "Masterpiece" Shinji Kagawa zu unverzichtbaren Bestandteilen seines Gegenpressings. Vor allem aber mit den gestiegenen finanziellen Möglichkeiten in Liverpool war zu beobachten, wie er seine Kader systematisch zusammenstellt. Vom Personal zum Zeitpunkt seiner Übernahme wurden lediglich Jordan Henderson, James Milner und Roberto Firmino langfristige Bestandteile seiner Erfolgsmannschaft, die mit dem Premier League- und dem Champions League-Titel großartige Erfolge feierte. Andere wichtige und im Nachhinein unverzichtbare Puzzleteile, wie Mo Salah, Sadio Mané, Virgil van Dijk, Fabinho, Georginio Wijnaldum, Andy Robertson, Alisson Becker oder Trent Alexander-Arnold wurden in den kommenden Transferzeiten verpflichtet, oder wie im Fall von TAA, aus der eigenen Jugend eingebunden. Mit diesen Spielern wurde Kloppos Kunstwerk perfekt und die großen Erfolge konnten sich einstellen.

Als Fazit lässt sich sagen, dass Gegenpressig ein etwas riskantes, aber auch ertragreiches Element ist, dabei spielt das Ligenniveau keine große Rolle. Um wirklich ertrag- und erfolgreich damit zu sein, müssen gewisse Fähigkeiten im Kader vorhanden sein - Spielverständnis und Schnelligkeit lässt sich schließlich kaum bzw. nur begrenzt trainieren. Sämtliche anderen körperlichen Komponenten und das dafür nötige Mindset ist aber erlern- und trainierbar. Immer nach dem Leitsatz: "Der Ballverlust spielt keine große Rolle. Wichtig ist nur, wie schnell wir uns den Ball wieder holen!".

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